„Ich ich ich“ Spiritualität – Achtsamkeits Hedonismus und andere spirituelle Klopse

In letzter Zeit habe ich mehrere Gespräche geführt, mit ähnlichem Inhalt:

„Ich habe gelernt (ob nun in der Therapie oder in der Hinwendung zur Spiritualität) gut für mich
selbst zu sorgen. Und ich drücke mich in Ich-Botschaften aus. Ich kann meine Grenzen gut formulieren und auch mal „Nein“ sagen. Und doch sagen jetzt viele Menschen, ich bin egoistisch! Ich bin traurig. Einige Menschen haben sich sogar von mir abgewandt.“

Auf die Nachfrage: „Und fragst du auch die anderen, was sie brauchen und achtest ihre Gefühle und Grenzen ebenso?“

Antwort: fragende oder gesenkte Blicke und schweigen….

Tatsächlich erlebe ich selbst auch mit manchen Menschen, die verkünden, sie leben jetzt achtsam oder haben eine Therapie absolviert:
Sie setzen strenge Grenzen, achten jedoch nicht im gleichen Maße auf die der anderen Menschen.
Ihre Bedürfnisse und Gefühle sind wichtig und das wird auch so kommuniziert (auch oft in Ich-Botschaften). Auf der anderen Seite ist ihr Gegenüber selbst für sich verantwortlich.

Gehe ich nun mal zu dieser westlichen „Spiritualität“ / Mindfulness / Achtsamkeit – die ja eigentlich angelehnt an den Buddhismus ist und die auch Einzug in viele Therapien gehalten hat, finde ich hier sehr viel:

Selbstliebe
Selbstmitgefühl
Selbstfürsorge
sich selbst verzeihen
Selbsthilfe

Oftmals wird alleine darauf der Fokus gesetzt. Ich bin entsetzt. Unsere hoch individualisierte Gesellschaft im Selbstoptimierungsmodus. Statt Verbundenheit mit anderen – weg vom Ich – kommt es doch sehr häufig zu noch mehr: ich, ich, ich. Stetig um sich selbst kreisend, in ihrem eigenen Kosmos klebend. Die Werkzeuge dazu aus dem Supermarkt Achtsamkeit. Wo die Menschen scheinbar mit einem Körbchen reinspazieren und sich rauspicken, was sie nun gerne davon haben möchten. Was ihnen zu Gute kommt und ihnen hilft.
Und da die Achtsamkeit ja lehrt, nicht mehr zu bewerten, mündet das in diesen Fällen in: Mich selbst nicht mehr hinterfragen. Alles, was ich tue ist ok. Da ich mich ja nicht bewerte und mir alles verzeihe, lebe ich in einem friedvollen Zustand mit mir selbst. Die Konsequenzen für andere Menschen können mir ja Latte sein.


An dieser Stelle: Ich stehe nicht gegen Selbsthilfe, Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl etc. Im Gegenteil, mit meinen Artikeln (vor allem in meiner Kolumne auf tollabea.de) gebe ich gern meine Erfahrungen dazu weiter und das, was ich in der Therapie zu diesen Themen gelernt habe.
Was mich besorgt, ist der Selbstzentrismus ohne jegliche Demut und vor allem ohne Sinn für Gemeinwohl und die Bedürfnisse und Gefühle anderer Menschen.

Der Fokus auf dem ICH. Achtsamkeits Hedonismus lässt grüßen.

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